Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin

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Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin 
Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin 
Vorwort A Rep. 358 Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin

1. Behördengeschichte

Im Rahmen der Reform des Strafprozessverfahrens hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben Forderungen nach Ablösung des schriftlichen Verfahrens durch ein mündliches, nach einer Anklage statt der Inquisition und nach der Beiziehung von gewählten Schöffen auch die Forderung nach einem Staatsanwalt als Anklagevertreter manifestiert.
1846 war zunächst beim Kammergericht Berlin ein Staatsanwalt zur Wahrnehmung des Amtes eines öffentlichen Anklägers eingesetzt worden. Erst nach Verabschiedung der Verfassung von 1848 wurde mit der Preußischen Strafprozessreform durch Verordnung vom 2. Januar 1849 die Institution einer Staatsanwaltschaft bei jedem Gericht eingeführt. Den Richtern wurden gewählte Schöffen und Geschworene zur Seite gestellt.
Nach dem Reichsgerichtsverfassungsgesetz wurden ab 1. Oktober 1879 als Behörden der Strafverfolgung und -vollstreckung der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, Staatsanwälte bei den Landgerichten und größeren Amtsgerichten sowie Amtsanwälte bei den kleineren Amtsgerichten tätig.
Beim Landgericht Berlin als oberste Behörde für die Strafverfolgung und Strafvollstreckung wurde die Stelle eines Ersten Staatsanwaltes eingerichtet. 1921 trat an die Spitze der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht I - in Abweichung vom übrigen rechtseinheitlichen Brauch - ein Generalstaatsanwalt. 1933 wurden die Staatsan-waltschaften der Landgerichte I, II und III zur Staatsanwaltschaft Berlin vereinigt, die Amtsanwaltschaften bei den Berliner Amtsgerichten zur Amtsanwaltschaft bei dem Amtsgericht Berlin. Sitz der Staatsanwaltschaft und der Amtsanwaltschaft war das Kriminalgericht Berlin-Moabit. Während des Zweiten Weltkrieges ist die Amtsanwalt-schaft als selbstständige Behörde aufgehoben und als Teil der Staatsanwaltschaft Berlin angeglliedert worden. Die in der NS-Zeit durchgeführten Änderungen im Berliner Gerichtswesen und in der Staatsanwaltschaft wurden nach Kriegsende z.T. wieder aufgehoben.

Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin nahm die Aufgaben Vertretung der Anklage in der Hauptverhandlung, Begleitung der Verfahren von den Ermittlungen bis zur Strafvollstreckung und zum Gnadenverfahren, Erlassung von Haftbefehlen (seit 1944), Anfechtung von Urteilen durch Nichtigkeitsbeschwerden für den Landgerichtsbezirk Berlin wahr. Dieser umfasste die Stadt Berlin, den Landkreis Niederbarnim, Teile der Landkreise Beeskow-Storkow, Jüterbog-Luckenwalde, Oberbarnim, Osthavelland, Westhavelland und Teltow.
Die Staatsanwaltschaften waren von den Gerichten unabhängig. Dienstaufsichtsbehörde für alle Staatsanwaltschaften der Provinz war bis 1945 der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht Berlin.

2. Bestandsgeschichte

Aus der Altregistratur der Generalstaatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin übernahm das Landesarchiv in drei Etappen 1953 - 1957 einen umfangreichen Aktenbestand von rund 2500 Bänden, der unter der Repositur Rep. 58 Acc. 399 geführt wurde. Zeitlich umfasst dieser die Jahre der Weimarer Republik (1918 - 1933). Nur mit wenigen Ausnahmen greift er darüber hinaus, etwa im Fall des so genannten Hauptmann von Köpenicks (1906) oder des Bauunglücks bei der Berliner Nordsüd-S-Bahn (1935).

Inhaltlich vermitteln die Akten ein eindrucksvolles Bild von den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen jener Jahre, gefärbt allerdings durch eine tendenziöse Auswahl. Sie erfolgte aufgrund der Ausführungsverordnung des Reichsjustizministeriums vom 17. September 1935, 15. März 1937 und 11. August 1939 (Deutsche Justiz, 1935, S. 1374; 1937, S. 431; 1939, S. 1075), die die Aufbewahrung des geschichtlich wertvoll erachteten Aktenmaterials anordneten. Die für die Auswahl geltenden Gesichtspunkte wurden am eingehendsten 1939 in 17 Punkten fixiert:

"Geschichtlich wertvoll sind die Akten (Strafakten, Zivilakten, Generalakten usw.) deren Inhalt (Akteninhalt, Bei-stücke) für die politische und kulturelle Geschichte Deutschlands bedeutsame oder besonders charakteristische Unterlagen bietet, sei es für sich allein oder im Zusammenhang mit anderen Akten.
Sie werden insbesondere zu finden sein unter Akten, die sich beziehen auf:
1. den Führer, führende Männer von Partei und Staat und sonstige bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens;
2. die NSDAP, ihre Gliederungen, ihre Gefallenen, ihren Kampf in der Versammlung, auf der Straße, durch Rede, Presse und Flugblatt; die österreichische Juli-Erhebung, die Verbotszeiten, die Machtübernahme;
3. völkische und vaterländische Verbände;
4. bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor 1933, frühere Parteien, Parlament, Verfassung;
5. Kommunisten, Marxisten, Pazifisten und andere Staatsfeinde;
6. Korruption, sittliche Verfehlungen (aufsehenerregende Abtreibungen, unzüchtige Schriften, Verwahrlosung der Jugend usw.);
7. die Juden in ihrer Tätigkeit in Politik, Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Presse, ihre Ein- und Auswanderung, Kriminalität, Vereinsleben, Rassenschande, Ritualverbrechen und Unzucht; Freimaure-rei;
8. die Judenabwehr;
9. die Grundsätze der Justiz in der Rechtssprechung, Strafvollstreckung und Justizverwaltung;
10. die Presse;
11. Film, Kunst, Literatur, Theater, Wissenschaft, Hochschulen und Schulen;
12. die Kirchen, konfessionelle Verbände, Sekten, Aberglauben, Religionsvergehen;
13. die Wirtschaft (Krieg, Demobilmachung, Inflation, Vierjahresplan, Wirtschaftsverrat, Zusammenbruch größerer Unternehmen), Arbeitskämpfe, Gewerkschaften;
14. die Wehrmacht (Einigungskriege, Weltkrieg, Diktate von Versailles, St. Germain, Freikorps, Reichswehr, Reichsexekutionen); die Polizei;
15. den Grenzkampf (Saarland, Separatismus, Ruhreinbruch, Oberschlesien, Kärnten, Sudetenland,"Memellan"); die Volksgruppen; die Kolonien, die Beziehungen zum Ausland;
16. Unruhen (Streik-, Spartakus-, Kapp-Putsch-, Bauern-, Erwerbslosen-, Rathenau-, Teuerungs- und Judenabwehrunruhen; Revolution von 1848, Umsturz 1918/19, roter Terror, Putsche, Revolten, Räteherrschaft);
17. zeittypische Kriminalität; Sensationsprozesse, Katastrophen, Kuriosa"

Der Tenor all dieser Verfügungen war die Sicherstellung des für die so genannte Kampfzeit der nationalsozialistischen Bewegung interessanten Materials. Die Akten sollten den kulturellen, sittlichen, politischen und wirt-schaftlichen Verfall der so genannten Systemzeit, die vermeintliche Korruption der Weimarer Justiz sowie den vermeintlichen Einfluss des so genannten internationalen Judentums.

Aufgrund der genannten Verfügungen mussten die Staatsanwaltschaften vierteljährlich Verzeichnisse der"geschichtlich wertvolle" Akten aufstellen und diese über die Generalstaatsanwälte oder Präsidenten der Oberlan-desgerichte dem Reichsjustizministerium formlos zuleiten. Neben dem Aktenzeichen mussten der Name des Angeklagten, der Gegenstand des Verfahrens und das Urteil daraus ersichtlich sein. Im Reichsjustizministerium sollte anhand dieser Unterlagen eine Kartei erstellt werden. Die eingereichten Listen wurden geprüft und mit einem handschriftlichen Vermerk oder gedruckten Klebezettel"Geschichtlich wertvoll lt. AV. vom " versehen.

Das erste der laufend gezählten insgesamt 16 Verzeichnisse ist undatiert, wurde aber wahrscheinlich Ende 1936 angefertigt. Von Mai 1937 bis Ende 1939 folgten sie im vorgesehenen Rhythmus, dann erschienen im September 1940 und 1941 je ein Jahresverzeichnis. Die letzte, wiederum undatierte, Zusammenstellung ist vermutlich das Jahresverzeichnis 1942.
Die Abgabe des Generalstaatsanwalts bei dem Landgericht Berlin hielt sich an diese Verzeichnisse, die zunächst als Findmittel dienten. Die darin festgelegte Nummerierung der Akten ist in den 1950er Jahren bei der Einarbeitung in den Archivbestand beibehalten worden. Nachteilig ist daher, die Freilassung von Nummernblö-cken für Akten, die nachgeliefert werden sollten. Derartige Lücken bestehen zwischen den lfd. NR. 2229 - 2329 und 2748 - 5999.
Bei der Überarbeitung des Findmittels im Jahr 1965 durch Dr. Wolfgang Vogel wurden die Titel um eine ausführliche Beschreibung des Tatbestandes ergänzt und das Namensregister um die Namen der Mitbeschuldigten und betroffenen Personen erweitert.

Im Jahr 2002 erfolgte die Retrokonvertierung des Findbuches zum Teilbestand A Rep. 358-01 in die Datenbank Augias-Archiv 8.1.

Im Sommer 2001 übergab das Brandenburgische Landeshauptarchiv im Rahmen eines Beständeaustausches die dort unter der Repositur Pr.Br.Rep. 12 B geführte Überlieferung der Staatsanwaltschaften bei den Landge-richten I - III, die den Teilbeständen zugeordnet wurden.
Der Hauptbestand enthält die Generalakten und Registerbände der Behörde, die Mitte der Neunziger Jahre von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin übergeben wurden (Accession 4740, 4005).

Die Gliederung der Generalakten orientierte sich am Generalaktenplan der Justiz. Es handelt sich um eine Musterklassifikation für sämtliche Justizbestände im Landesarchiv. Daher können einige Klassifikationspunkte nicht belegt sein. Der Bestand hat kriegsbedingte Lücken.


3. Korrespondierende Bestände

LAB A Rep. 339 Landgericht Berlin
BLHA Pr.Br.Rep. 4A Kammergericht Berlin
GStA I. HA Rep. 84a Preußisches Justizministerium
BArch R 3001 Reichsjustizministerium


4. Literatur- und Quellenverzeichnis

Hans-Wolfgang Treppe, Einhundertfünfzig Jahre Staatsanwaltschaft in Berlin. Die Geschichte der"objektivsten Behörde im Staat", in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins, hrsg. von Sibylle Einholz und Jürgen Wetzel, 45. Jg. (1996), S. 103 - 118.

Aus dem Berliner Rechtsleben. Festgabe zum XXVI. Deutschen Juristentage, Berlin 1902.

Franz Hoeniger, Berliner Gerichte, Berlin 1908 (= Großstadt-Dokumente, Bd. 24).



Berlin, im Juli 2009/Januar 2021 Bianca Welzing-Bräutigam
 

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