. "Vorwort\n\n2.1 Rat und Magistrat von Berlin, Cölln und den Vorstädten bis 1806

Berlin und Cölln entstanden in handelsstrategisch günstiger Lage an der Spree, vermutlich als Ansiedlungen von Kaufleuten aus dem Rheinland, die um 1230/40 von den askanischen Markgrafen Brandenburgs Stadtrecht erhielten. Die mittelalterliche Stadtverfassung Berlins basierte auf dem magdeburgischen Stadtrecht. Sehr früh erlangte die Stadt offenbar das Eigentum an den Einnahmen aus dem Hufenzins und Wortzins sowie dem Stättegeld und dem Gewerkszins. Dem Landesherrn standen dagegen das Recht auf Huldigung, Regalien (Zoll, Niederlage, Münz- und Mühlenregal), die Gerichtsgewalt, die Heeresfolge und Steuereinnahmen zu. Berlin erhielt bald wesentliche Privilegien insbesondere hinsichtlich von Zoll und Niederlage, so dass sich die Doppelstadt erfolgreich zu einem über die Grenzen der Mark Brandenburg bedeutenden Handelszentrum entwickeln konnte. Um die Mitte des 13. Jahrhundert stand das städtische Gemeinwesen unter Aufsicht eines vom Markgrafen mit der Gerichtsgewalt belehnten Vogt, später Schultheiß, der die Ratsmannen (consules) vereidigte. Ratsfähig war in erster Linie die städtische Oberschicht der Kaufleute, die auf diese Weise auch die Kontrolle über die Innungsbildung der Handwerker übernahm, welche lediglich in Ordnungsfunktionen am Stadtregiment beteiligt waren.

Im Jahre 1307 bemühte sich Berlin erstmals nachweislich um eine Einigung mit der Schwesternstadt Cölln hinsichtlich gemeinsamer Ratswahl und Steueraufbringung. Obwohl ein fester Zusammenschluss beider Städte nicht zustande kam, gab es bis 1709 immer wieder gemeinsame Beschlüsse beider Ratskörperschaften und eine teilweise gemeinsame Vermögensverwaltung, wobei Berlin jeweils zwei Drittel und Cölln jeweils ein Drittel der Stimmen bzw. der Ein- und Ausgaben zuerkannt wurden. In beiden Städten wurden aus der Mitte der Ratsleute die Bürgermeister gewählt. Der Rat wurde zwar jährlich neu bestimmt, löste aber faktisch nur den jeweils vorhergehenden Rat ab, so dass sich eine feste Gruppe von\"aktive\" bzw.\"ruhende\" Ratsmitgliedern herausbildete, die in wichtigen Fragen auch gemeinsam tagte \"immerwährender Ra\"). Im 15. Jahrhundert kam es allmählich zur Herausbildung von ständig besetzten, besoldeten Verwaltungsfachämtern, wie Stadtschreiber, Kämmerer, Steuereinnehmer. Innungen, Brüderschaften und geistliche Körperschaften trugen durch die Übernahme der Armenpflege und von Polizei- und Sicherheitsaufgaben zur städtischen Selbstverwaltung bei. Wie in anderen märkischen Städten besaßen vier Handwerkerinnungen - die sogenannten Viergewerke - eine herausragende Stellung, blieben aber dem Rat untergeordnet. In Berlin und Cölln waren dies die Bäcker, Schuhmacher, Tuchmacher und Knochenhauer. Das Stadtgericht übte in Strafsachen ein Schultheiß als landesherrlicher Lehnsmann aus, ihm standen vier Berliner und drei Cöllner Schöffen zur Seite. Im Jahre 1391 erwarb Berlin die volle Gerichtsgewalt durch Kauf des Schultheißenamtes von Thile Brugge d. J. und behielt die Gerichtsvollmacht bis 1448. Als landesherrlicher Vertreter hatte im\"Hohen Hau\" ein Vogt seinen Sitz, der die zur Landesherrschaft gehörenden Dörfer im Umland verwaltete, die Einziehung der markgräflichen Einnahmen aus Berlin und Cölln überwachte sowie die Aufsicht über die Juden und Dienstleute des Markgrafen ausübte. Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts beteiligten sich Berlin und Cölln mehrfach an Städtebündnissen in der Mark; eine lose Verbindung bestand zur Hanse (bis 1518). Die Berliner und Cöllner Grundherrschaft umfasste Mitte des 15. Jahrhunderts die unmittelbar an die Feldmark auf dem rechten Spreeufer grenzenden Dörfer Lichtenberg, Reinickendorf, Neuendorf, Stralau, Friedrichsfelde, Pankow (teilweise) sowie auf dem linken Spreeufer die Feldmark Tempelhof mit den Dörfern Rixdorf, Mariendorf und Marienfelde (die Lehen des Johanniterordens blieben). Hinzu kamen Woltersdorf sowie Falkenberg und Buchholz (letztere wurden im 16. Jahrhundert wieder verkauft).

In Landesangelegenheiten und wann immer es sonst von Vorteil erschien, traten Berlin und Cölln während des gesamten Mittelalters als einheitliche Gemeinde auf. Beide Räte tagten zusammen im gemeinsamen Rathaus auf der Langen Brücke; es gab eine Kasse für gemeinschaftliche Einnahmen und Ausgaben, ein gemeinsames Archiv und ein Bündnis in der Leistung der Heeresfolge für den Landesherrn, wobei jeweils Berlin den doppelten Anteil von Cölln trug bzw. erhielt. Vermögen und Rechtsverhältnisse beider Städte waren aber zu unterschiedlich, um einen gänzlichen Zusammenschluss zuzulassen. Dies führte immer wieder zu Streitigkeiten. Ein Einigungsversuch von 1432, der gemeinsame Nutzung der Feldmarken und die Zusammenlegung der Innungen vorsah, brachte derartige Verwirrung mit sich, dass Kurfürst Friedrich II. im Jahre 1442 gründlich schlichten und ordnen musste. Der Kurfürst verfügte die Trennung der Räte entsprechend der althergebrachten Praxis; zugleich beteiligte er die Viergewerke an der Stadtregierung. Auch ließ er die weitgestreuten und oft unverbrieften Grundbesitz- und Lehnsverhältnisse der einzelnen Bürger prüfen - der eskalierende Streit hierüber führte 1448 zum\"Berliner Unwille\", in dessen Gefolge Friedrich II. schließlich feste Residenz im Berliner Stadtschloss nahm, dessen Bau 1442/43 begonnen hatte.

Im Verlauf des 16. Jahrhunderts büßte Berlin seine handelspolitische Stellung weitgehend ein, da wichtige Handelswege nicht mehr über die Mittelmark, sondern über Leipzig, Magdeburg, Hamburg oder Breslau verliefen. Bedeutung zog die Doppelstadt nun fast ausschließlich aus der neuen Funktion als Residenz und Verwaltungszentrum. Da die Bevölkerungszahl wuchs, nahm auch die Besiedelung zu und Vorstädte entstanden. Zur Einwohnerschaft zählten nun neben Bürgern und Geistlichen zunehmend Hofbedienstete, Beamte und Adlige, die nicht der Aufsicht der Räte (im 16. Jahrhundert wurde die Bezeichnung\"Magistra\" üblich) unterstanden. Die Ratswürde entwickelte sich zu einem festen Amt, das seit 1528 nur mit kurfürstlicher Genehmigung niedergelegt werden konnte. Bei jährlichen Ratswechseln wurden daher bestenfalls noch Ergänzungswahlen für ausgeschiedene Ratsmänner notwendig. Die Mitwirkung der Viergewerke an der Stadtregierung war nicht beständig; Verordnete aus ihrer Mitte wie auch aus der Bürgerschaft wurden allerdings mit der Steuerveranlagung beauftragt. Beide Gemeinden verfügten nun über eine eigenständige Gerichtsbarkeit in Form eines Schöffengerichts, eines Wröhegerichts (für Vergehen gegen die Ackerordnung) und des Rates (für Gewerbesachen und Injurien). Zusätzlich existierte ein gemeinsames Gericht beider Magistrate. Nach der Reformation ging 1539/40 das Patronat über die Kirchen in Berlin und Cölln aus der Hand des Landesherrn an die beiden Magistrate über, die wiederum ab 1542 durch das kurfürstliche Konsistorium beaufsichtigt wurden. Die finanzpolitischen Aufgaben traten nun zunehmend in den Mittelpunkt der Verwaltungspflichten. War es im 16. Jahrhundert das Kredit- und Steuerwesen, so bestand während des 30-jährigen Krieges die Notwendigkeit der Kontributionsleistung. Wenn auch die militärischen Ereignisse Berlin und Cölln kaum berührten, so brachte doch der Krieg schließlich die Stationierung einer kurfürstlichen Garnison und zunehmende Einquartierungslasten mit sich. Als 1658 der Bau des Festungswerkes begann, verlor die Doppelstadt endgültig ihre mittelalterliche Struktur. Mit der Einführung der Akzise (einer Verbrauchssteuer) wurde den Magistraten der Einfluss auf das Steuerwesen entzogen, doch die Gemeinden profitierten, da gleichzeitig die Grundsteuer (Schoss) sank. Die komplizierten Verwaltungsaufgaben konnten die Magistrate nur durch Aufnahme ständischer oder kurfürstlicher Beamter bewältigen, die ihrerseits die Ratsstellen in Berlin und Cölln als gutbesoldete Nebenämter ansahen. Mit den Syndici bildete sich eine neue, einflussreiche Gruppe besoldeter rechtskundiger Beamter heraus. Zunehmend wurden daher die Viergewerke und die Verordneten die eigentlichen Vertreter der Bürgerschaft, doch sie blieben den Magistraten nachgeordnet.

Kurfürst Friedrich Wilhelm I. betrieb faktisch eine Politik der Auflösung der alten Stadtgemeinden, was sich zum einen in der Gründung neuer Vorstädte und zum anderen in der Ansiedlung von Einwohnern, die nicht der Obrigkeit der Magistrate unterstanden - insbesondere der Refugiés -, manifestierte. Sowohl der Friedrichswerder (privilegiert 1662) als auch die Dorotheenstadt (privilegiert 1674) waren gleichsam landesherrliche Privatstädte, die lediglich Akziseeinnahmen erbrachten, ansonsten aber eher defizitäre Unternehmungen waren. Vor allem aber führten die auf engstem Raum bestehenden unterschiedlichen Rechtssysteme der alten und neuen Städte und die differenzierte Rechtsstellung der Einwohnerschaft zu andauernden Konflikten. Es vermehrte sich die Zahl der Burglehen und Freihäuser und anderer Eximierter. 1672 erfolgte die Bildung einer französischen Kolonie, die ab 1685 mit eigener Verfassung dem französischen Konsistorium und dem Kolonialgericht unterstand. Auf die französischen Kolonisten in allen vier Städten, vor allem aber der Dorotheenstadt, hatten die Magistrate keinen Einfluss. Die Polizeigewalt über die vier Magistrate, die Garnison, die Eximierten und die französische Gemeinde lag beim Landesherrn, der ab 1680 den Gouverneur damit beauftragte. Dieser war für die Straßenreinigung, Pflasterung, die Beaufsichtigung der Brunnen, Beleuchtung, des Feuerlöschwesens, zunehmend auch für die Baupolizei, das Armenwesen, die Stadtwacht und die Servicekassen zuständig. Die Aufsicht über die verbleibenden städtischen Polizeiaufgaben übten die Steuerkommissare aus. Trotzdem unterstanden die Magistrate aber nach wie vor direkt dem Kurfürsten bzw. König. Dieser verfügte schließlich eine vollkommen neue Stadtverfassung, indem er mit dem am 17. Januar 1709 erlassenen\"Reskript von Kombinirung der rathäuslichen Kollegie\" die Magistrate der vier Städte miteinander vereinigte. Damit war jedoch die Zersplitterung der Polizeiverwaltung und des Steuerwesens sowie die Sonderstellung der Eximierten und die Trennung der Innungen noch keineswegs beseitigt. 1710 wurde zwar ein Stadtgericht geschaffen, dessen Direktor einer der Bürgermeister war, doch behielten bis 1726 die Stadtteile eigene Richter und Schöffen. Unter König Friedrich Wilhelm I. erhielt das öffentliche Leben der Stadt ein deutlich militärisches Gepräge, indem die Stellung des Gouverneurs gestärkt und die Magistrate durch königliche Befehle gelenkt und (oftmals mit unfähigen Personen) besetzt wurden. Schließlich wurde die Stadt 1723 der Aufsicht der kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer unterstellt. Diese führte zusammen mit dem königlichen Generaldirektorium in den folgenden Jahren eingehende Untersuchungen des städtischen Kämmereiwesens durch, was 1724 zu einer Neuordnung des Servicewesens und 1735 zur Trennung von Jurisdiktion und Polizeigewalt führte. 1726 bestellte die Kriegs- und Domänenkammer einen Stadtpräsidenten, der mit der ständigen Aufsicht und Berichterstattung über das Verwaltungshandeln des Magistrats beauftragt war. 1742 kam es zur Einsetzung eines königlichen Polizeidirektors, dem Magistratsmitglieder lediglich beigegeben und unterstellt wurden. Das Generaldirektorium verfasste gemeinsam mit dem Stadtpräsidenten ein\"Rathäusliches Reglement der Residenzien Berli\", das am 21. Februar 1747 durch den König in Kraft gesetzt wurde. Die nunmehr zwanzig Magistratsmitglieder unter Führung eines vom König ernannten Stadtpräsidenten (zugleich Bürgermeister) waren hauptamtlich tätig. Die Ratsstellen waren nun endgültig besoldete Ämter, die eine entsprechende fachliche Qualifikation erforderten. Der König und die Regierungsbehörden übten verschärfte Kontrolle über den Magistrat aus und bestimmten auch in Detailfragen. Die Viergewerke verschwanden praktisch aus dem öffentlichen Leben, insbesondere, da das Innungswesen durch die königlichen Generalprivilegien nunmehr einer einheitlichen Landesgesetzgebung unterworfen war. Die Verordneten der Bürgerschaft waren quasi nachgeordnete ausführende Beamte. Die Magistratsverwaltung alten Stils endete mit der Besetzung Berlins durch französische Truppen im Jahre 1806.

Infolge der ungünstigen Registraturverhältnisse sowie durch Stadtbrände, Kriegsereignisse und die Bautätigkeit an den Rathäusern war die älteste stadtgeschichtliche Überlieferung schon vor der Reorganisation des Stadtarchivs Anfang des 19. Jahrhunderts stark beeinträchtigt. Insbesondere aus dem 16. und 17. Jahrhundert waren kaum mehr Akten und Amtsbücher auffindbar. Nach 1809 begann die Bildung moderner Magistratsregistraturen mit der teilweisen Auflösung älterer Aktenüberlieferung und der Übernahme noch kurrenter Vorgänge in den laufenden Aktenbestand. Die archivierten Bestände erlitten durch den Zweiten Weltkrieg einen schweren Aderlass, da nur etwa die Hälfte der Archivalien aus den Verlagerungsorten nach Berlin zurück gelangte.

Verweise:

LAB A Rep. 001-01 Comité administratif
LAB A Rep. 000-01-02 Stadtverordnetenversammlung von Berlin
LAB A Rep. 001-02 Magistrat der Stadt Berlin, Generalbüro
LAB A Rep. 003-01 Königliche Armendirektion/Magistrat der Stadt Berlin, Armendirektion
LAB A Rep. 004 Magistrat der Stadt Berlin, Kirchenabteilung
LAB A Rep. 005-02 Magistrat der Stadt Berlin, Städtische Grundeigentumsdeputation
LAB A Rep. 016-02 Magistrat der Stadt Berlin, Gewerbedeputation, Spezialia
LAB A Rep. 020-01 Magistrat der Stadt Berlin, Städtische Schuldeputation
LAB F Rep. 237 Handschriftensammlung
LAB F Rep. 238 Urkundensammlung
LAB F Rep. 270 Kartensammlung
BLHA Bestände der kurmärkischen Behörden (bis 1808/16)

Literatur:

Corpus Constitutionum Marchicarum oder Königlich preußische und churfürstlich Brandenburgische ind der Chur- und Marck Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, edicta, mandata, rescripta...., hrsg. von Christian Otto Mylius, T. 1-6, Fortsetzung 1-4, Supplement 1-3, Repertorium 1 u. 2, Berlin/Halle 1737-1755.
Clauswitz, Paul: Zur Geschichte Berlins [vom Mittelalter bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert]. In: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin, bearb. von Richard Borrmann, Berlin 1893, S. 3-98.
Clauswitz, Paul: Kritische Übersicht über die Literatur zur Geschichte Berlins. In: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, H. 31, Berlin 1894, S. 115-164.
Novum corpus constitutionum Marchicarum, Bd. 1-12, Berlin 1753-1803.
Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam. Teil I: Behörden und Institutionen der Territorien Kurmark, Neumark, Niederlausitz bis 1808/16, bearb. von Friedrich Beck, Lieselott Enders, Heinz Baum unter Mitarb. v. Margot Beck u. Barbara Merker, Weimar 1964 (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, hrsg. von Friedrich Beck, Bd. 4).
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