Reichsstelle für Mineralöl
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Reichsstelle für Mineralöl
Geschichte des Bestandsbildners
Vorbemerkung: Zur Organisation der Reichsstellen allgemein
Auf der Grundlage der Verordnung über den Warenverkehr vom 4. September 1934 wurden für alle wichtigen Fachgebiete der gewerblichen Wirtschaft ca. 30 Überwachungsstellen zur Überwachung des Warenverkehrs auf dem inneren Markt und zur Kontrolle, Lenkung und Verteilung der Rohstoffgütereinfuhr als nachgeordnete Dienststellen des Reichswirtschaftsministeriums errichtet (vgl. Bestand R 3101). Jede Überwachungsstelle wurde mit ihrer Errichtung juristische Person und unterstand einem vom Reichswirtschaftsminister berufenen und verpflichteten Reichsbeauftragten. Die Reichsbeauftragten waren berechtigt, Anordnungen mit Verordnungscharakter zu erlassen, die im Reichsanzeiger veröffentlicht wurden. Seit dem 18. Aug. 1939 (RGBl. I 1429 und RAnz. Nr. 192) hießen die bisherigen Überwachungsstellen einheitlich Reichsstellen.
Die Aufgaben der Überwachungs- bzw. Reichsstellen im allgemeinen und die ihnen im Einzelnen zur Wahrnehmung zugewiesenen Angelegenheiten veränderten sich in den elf Jahren ihres Bestehens aus verschiedenen Ursachen wiederholt.
Die 1942 mit der Einführung des Begriffes Lenkungsbereich verknüpften praktischen Auswirkungen waren beträchtlich, da von jetzt ab stärker als vorher der Organisation der gewerblichen Wirtschaft (Reichsgruppe Industrie, ihren Wirtschaftsgruppen und deren Untergliederungen), den Reichsvereinigungen und Gemeinschaften mehr oder weniger große Aufgaben im Rahmen der wirtschaftlichen Reichsbeauftragungsverwaltung neben oder mit den Reichsstellen, vereinzelt sogar mit der Eigenschaft als Reichsstelle, übertragen wurden. Am durchgreifendsten waren die Folgen des Übergangs aller kriegswichtigen Produktionsaufgaben vom Reichswirtschaftsministerium auf das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion im Herbst 1943. Das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion baute dafür seine eigene, großenteils neue Organisation so umfassend auf, dass das System der Reichsstellen weitgehend ausgehöhlt wurde. Die Abwicklung der Reichsstellen erfolgte nach 1945.
Die Reichsstelle für Mineralöl
a) Zur Lage der Mineralölwirtschaft in Deutschland bis zur Machtergreifung
Das Aufkommen an Mineralöl innerhalb der deutschen Gebiete war von je her nie besonders hoch. Nennenswerte Vorkommen traten v.a. im Raum Hannover und insbes. im Elsass auf. Eine systematische Ausbeutung dieser Vorkommen fand erst ab 1745 statt (s. dazu Karlsch/Stokes: Faktor Öl). Im Zuge der Industrialisierung wuchs der Bedarf stetig, gleichzeitig war auf dem Weltmarkt (durch die in Amerika, Russland, Rumänien und Österreich-Ungarn erschlossenen großen Mengen) mehr Öl verfügbar.
In den 1880er Jahren förderte Bismarck die Einfuhr russischen Petroleums. Ab 1900 drängten mehr und mehr die Großbanken ins Ölgeschäft: Durch geschickte Geschäftsbeziehungen waren lukrative Geschäfte möglich. Der deutsche Petroleummarkt wurde stark durch die Deutsch-Amerikanische Petroleum-Gesellschaft (DAPG) dominiert. Als Tochterunternehmen der Standard Oil Company beherrschte sie den Petroleumhandel, der Aufbau eines Monopols gelang ihr jedoch aufgrund der konkurrierenden Unternehmen, die Petroleum aus Rumänien, Russland und Galizien einführten, nicht.
Wegen der stetigen Verdrängung des Leuchtöls durch Gas und die Elektroenergie verlor das Petroleum bis in die 1920er Jahren weitestgehend an Bedeutung. Die Einführung eines staatlichen Petroleummonopols - die spätestens ab 1919 als Anachronismus angesehen werden musste - gelang nicht.
In Deutschland entwickelte sich ein breiter Markt für Schmierstoffe und Benzin, bedeutende Gewinne konnten die 1911 gegründete Deutsche Erdöl AG (DEA) sowie im Benzinsektor die Rhenania, eine Tochter der Royal Dutch, vorweisen. Im Laufe der Jahre verdrängte jedoch die DAPG die Rhenania von der Spitze der deutschen Benzinanbieter.
Die deutschen Großbanken waren aktiv an der Gründung der DEA bzw. Deutschen Petroleum AG beteiligt. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam der Markt jedoch zum Erliegen."Nach der Niederlage von 1918 und dem Friedensvertrag von Versailles verloren die deutschen Banken bzw. Mineralölunternehmen [...] ihre Auslandsbeteiligunge" und wurden damit de facto"auf den Stand von vor 1900 zurückgeworfen.".
Trotzdem entwickelte sich der Mineralölmarkt während der Weimarer Republik auch in Deutschland wieder. Nach Ende der Inflation und der Währungsreform wuchs insbes. der Treibstoffbedarf für Kraftfahrzeuge sowie der Bedarf an Flugbenzin und Bitumen. Die marktbeherrschenden"großen Dre" waren die Rhenania-Ossag AG, die DAPG sowie die Anglo-Iranian Oil Company:"[Ihnen] gehörten die wichtigsten Raffinerien in Deutschland, sie verfügten über flächendeckende Tankstellennetze und eine Palette von Marktprodukte". Da überwiegend Zwischen- oder Fertigprodukte eingeführt wurden, war der Betrieb von Rohölraffinerien nicht notwendig.
Ab 1931 trat im Mineralölgeschäft die Wintershall AG in Erscheinung, die bald darauf zum wichtigsten einheimischen Erdölproduzenten und Verarbeiter aufsteigen sollte.
Schon in den frühen dreißiger Jahren war die potentielle Erschöpfung der Erdölvorräte ein großes Thema. Die Suche nach Alternativen mündete in der Gewinnung von Öl aus Kohle. Zur großtechnischen Umsetzung der - tendenziell von je her unwirtschaftlichen - Kohlehydrierung waren jedoch in erster Linie die finanzstarken Unternehmen wie die BASF bzw. die IG-Farbenindustrie AG in der Lage.
b) Die Organisation der Mineralölwirtschaft seit der Machtergreifung
Seit 1933 wurden im Reichsgebiet intensiv neue Quellen für Erdöl erkundet. Das sog."Reichsbohrprogram" des Reichswirtschaftsministeriums sollte der Abhängigkeit von ausländischen Ölimporten entgegenwirken. Zwar stand fest, dass aufgrund der geologische Voraussetzungen auf Reichsgebiet nur geringe Vorkommen erwartet werden durften, dennoch sollten die Ressourcen voll ausgeschöpft und zudem der Abbau der Arbeitslosigkeit vorangetrieben werden .
1934 wurde beim Reichswirtschaftsministerium zur Steuerung der Ein- und Ausfuhr die Überwachungsstelle für Mineralöl eingerichtet.
Neben der Produktion und Einfuhr von Mineralöl wurde 1934 mit der Gründung der"Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft (WiFo" parallel auch die Einlagerung von Mineralöl im Deutschen Reich vorangetrieben (vgl. Bestand R 125).
Mit der Organisation der Vierjahresplanung unter Göring, der seit 4. Apr. 1936 das Amt des"Rohstoff- und Devisenkommissar" inne hatte, wurde Ende 1936 das Amt für Deutsche Roh- und Wertstoff" eingerichtet. Dessen Aufgaben waren insbes. die
· Aufstellung von Plänen für die industrielle Erzeugung,
· Kontrolle der Kraftstofferzeugungsstätten,
· Förderung der Erdölgewinnung im Inland, auch Forschung und Entwicklung
· Überwachung der Lagerhaltung
· Sicherstellung der Versorgung der Wehrmacht und Wirtschaft
· Regulierung des Treibstoffmarktes sowie der
· Förderung des Mineralöl-Imports.
Noch im selben Jahr wurde mit der Aufstellung eines Mineralölplans und der dafür zu veranschlagenden Finanzierung begonnen.
Das - bedingt durch die sich überschneidenden Aufgaben entstandene -Kompetenzgerangel mit dem Oberkommando der Wehrmacht konnte erst mit der Verschiebung der Zuständigkeiten des Amtes für Deutsche Roh- und Wertstoffe auf die Reichsstelle für Wirtschaftsausbau und das Reichswirtschaftsministerium beseitigt werden. Mit Verfügung vom 22. August 1938 ernannte Göring, seinerzeit Ministerpräsident, Generalfeldmarschall und Beauftragter für den Vierjahresplan, den in der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau beschäftigten Direktor Dr. Carl Krauch zum Bevollmächtigten für die Erzeugung von Mineralöl, Kautschuk und Leichtmetallen, von Schieß- und Sprengstoffen sowie für die Erzeugung von chemischen Kampfmitteln. Im Rahmen des wehrwirtschaftlichen neuen Erzeugungsplans wurde von ihm 1938 ein Sofortprogramm für Mineralöl erarbeitet, das zum Teil auch als"Krauch-Program" bezeichnet wurde.
Am 18. Aug. 1939 (RGBl. I 1429 und RAnz. Nr. 192) wurden die bisherigen Überwachungsstellen einheitlich in Reichsstellen umbenannt. Die Überwachungsstelle trug nunmehr die Bezeichnung"Reichsstelle für Mineralö". Ihre Hauptaufgabe lag im Wesentlichen in der Sicherung der Versorgung des Reichs mit Kraftstoffen, dabei die Überwachung und Koordinierung der Ölgewinnung und der Öllieferungen an das Deutsche Reich, ab Kriegsbeginn verstärkt die Versorgung der Wehrmacht sowie die Kontingentierung der Öllieferungen und die Verarbeitung und Verteilung der in den besetzten Gebieten gewonnenen Ressourcen an Mineralöl.
Aber auch durch geschickte Handelsbeziehungen sollte die Ölversorgung gesichert werden: Am 23. März 1939 wurden ein Deutsch-Rumänisches Handelsabkommen und ein Jahr später die Öl-Verträge mit Rumänien und Russland abgeschlossen.
Die Reichsstelle für Mineralöl arbeitete eng mit dem Reichskommissar für die Preisbildung sowie den Öl importierenden und verarbeitenden Unternehmen zusammen.
Am 27. März 1941 wurde - insbesondere zum Zwecke der Nutzung der neu zu erschließenden Erdölvorkommen im Kaukasus - die Kontinentale Öl AG gegründet.
Ebenso wirkte sie an der Umsetzung des Mineralölsicherungsplans mit, der im Juni 1944 als Geheimprojekt geplant und nach seinem Initiator Edmund Geilenberg benannt war, Generalkommissar für die Sofortmaßnahmen beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion "Geilenberg-Program").
Organisation der Reichsstelle für Mineralöl
Zur Organisation und Verwaltung der Reichsstelle für Mineralöl sind Unterlagen praktisch nicht vorhanden. Anhand der Aktenüberlieferung ließ sich feststellen, dass es früher u.a. folgende Abteilungen gegeben haben muss:
· Rechtsabteilung: Abteilungsleiter RA Dr. Helmuth Morell, *6.09.1896
· Wehrwirtschaftliche Abteilung
· Technische Abteilung: Abteilungsleiter Dr. Willibald von Zezschwitz, *25.08.1899
· Sachgebiet V Warenbewirtschaftung:
Abteilung Kraftstoffe (V a)
Abteilung Schmierstoffe (V b)
Abteilung für technische Benzine, Benzole und Petroleum (V c)
· Sachgebiet VI: Sonstige Abteilungen:
· Revisions- und Treuhandabteilung VI c: Abteilungsleiter Hellmut Röhrbein
· Abteilung für Preiskontrolle, statistisches Zentralreferat (und Erhebungsabteilung), Kassenrevision: Abteilungsleiter Dr. Friedrich Sartisson, * 2.11.1876
· Sonderabteilung Besetzte Gebiete:
stellvertretender Abteilungsleiter Karl Heinz Becker, *12.02.1905.
Zur Aktenführung:
Die Aktenführung innerhalb der Reichsstelle für Mineralöl weist keine Zeichen behördlicher Schriftgutverwaltung auf, daher ist davon auszugehen, dass Aktenpläne keine Verwendung fanden. Die Akten wurden vorwiegend auf Ebene der Sachbearbeiter geführt und im Wesentlichen sachthematisch, nach Korrespondenzpartnern und/oder in Sammlungen (z.B. nach Schriftgutart) abgelegt. Die Bearbeiterkürzel sind in der Regel nicht aufzulösen, so dass eine Kontext- Zuordnung anhand der wahrgenommenen Aufgaben oder durch Funktionen bestimmter Personen nur selten möglich ist.
Eine Besonderheit bei den Korrespondenzserien stellt der Umstand dar, dass nicht immer alphabetisch nach Korrespondenzpartner, sondern auch nach Orten der Korrespondenzpartner und jeweils jahrgangsweise alphabetisch abgelegt wurde. So finden sich in diesen Serie beispielsweise Korrespondenzen mit dem Reichswirtschaftsministerium nicht unter"", sondern, unter"" für Berlin. Den alphabetischen Schriftwechselserien wurden zum Teil allgemeine Unterlagen (z.B.: Korrespondenz mit"Alle" oder Anordnungen) vorgeheftet.
Die Unterlagen der Revisions- und Treuhand-Abteilung wurden überwiegend nach kaufmännischen Gesichtspunkten geführt:
Aus den Unterlagen zur Prüfung einzelner Firmen sind auch Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmen ersichtlich, mitunter sind den Anträgen auf Verlustausgleich auch die erst Jahre später erfolgten Prüfungsvermerke zugeordnet.
Reichsstelle für Mineralöl