Reichsversorgungsgericht
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Reichsversorgungsgericht
Geschichte des Bestandsbildners
I) Das Militär-Versorgungswesen vor der Übernahme durch das RAM
Das Militärversorgungswesen beruhte auf dem Mannschaftsversorgungsgesetz und dem Offizierspensionsgesetz, beide vom 31.5.1906, und dem Militärhinterbliebenengesetz vom 17.5.1907. Hinzu traten während des 1. Weltkrieges die Kapitalabfindungsgesetze für Offiziere und Mannschaften (1916 bzw. 1918) und das Gesetz über die Fürsorge für Kriegsgefangene (1917).
Versorgungsansprüche konnten während der aktiven Dienstzeit bei dem jeweiligen Truppenteil, danach bei dem Bezirksfeldwebel angemeldet werden. Bei offensichtlich unbegründeten Anträgen erfolgte bereits auf dieser Ebene eine Ablehnung. Ansonsten erging der Entscheid durch das Generalkommando bzw. - im Krieg - durch das stellvertretende Generalkommando. Gegen diese Entscheidung konnte sodann Einspruch bei der obersten Militärverwaltungsstelle, d. h. bei dem jeweiligen Kriegsministerium, dem Reichsmarineamt oder dem Reichskolonialamt eingelegt werden. Bei Offizieren wurde die Entscheidung über den Antrag durch die obersten Militärverwaltungsbehörden gefällt, bei Ansprüchen Hinterbliebener durch die Korpskommandantur bei Unteroffizieren und Mannschaften bzw. das Kriegsministerium (bei Offizieren), durch den Staatssekretär des Reichsmarineamtes (bei Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften) oder durch das Kommando der Schutztruppen in Berlin (bei Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften). Die beiden zuletzt genannten Stellen waren grundsätzlich erste und letzte Instanz, ebenso das Kriegsministerium bei Offizieren des Heeres oder deren Angehörigen.
Die Zahlungen von Versorgungen erfolgten durch Pensionsregelungsbehörden. Diese waren in Preußen die Regierungen (in Berlin das Polizeipräsidium), in Bayern das Kriegsministerium, in Sachsen, Württemberg und Baden die Korpsintendanturen. Den Pensionsregelungsbehörden oblag auch die laufende Überprüfung der Versorgungsempfänger auf Änderungen hin, die eine Streichung oder Kürzung der Versorgungsbezüge zur Folge hätten haben können (sog. Regelungsverfahren).Gegen die Entscheidungen der obersten Militärverwaltungsbehörden stand prinzipiell der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen; diese waren jedoch an die Entscheidungen der obersten Militärverwaltungsbehörden, soweit sie die Voraussetzungen der Versorgungsansprüche betrafen, gebunden.
Die Organisation des Versorgungswesens war kompliziert, zu kompliziert, um mit der infolge des Krieges rasch wachsenden Zahl von Versorgungsansprüchen fertig zu werden. Seit 1915 mehrten sich daher die Stimmen, die eine Angleichung an das System der Sozialversicherung forderten. Die Angliederung an die Einrichtungen der Reichsversicherungsordnung war schließlich auch Gegenstand der Reichstagssitzung vom 22.6.1918 (Stenogr. Protokoll p. 5565 ff), wo sich Zentrum wie Sozialdemokraten, Nationalliberale wie Konservative und Deutsche Fraktion dafür aussprachen. Der Staatssekretär des Reichsarbeitsamtes, Bauer, schrieb denn auch am 15.11.1918: Ich halte"es für dringend erforderlich, daß wenigstens das Verfahren in Militärversorgungssachen unverzüglich neu geregelt wird, da andernfalls die Versorgungssachen aus diesem Kriege zum größten Teil in dem bisherigen, nicht mehr zeitgemäßen Verfahren erledigt werden, den Kriegsteilnehmern und ihren Hinterbliebenen also die Vorteile des neuen Verfahrens nicht mehr zugutekommen würde".
Die Bedingungen des Friedensvertrages von Versailles (Entmilitarisierung) haben die Neuorganisation des Versorgungswesens unter der Regie des Reichsarbeitsministeriums entscheidend beschleunigt.
II. Das (Militär-) Versorgungswesen nach der Übernahme durch das Reichsarbeitsministerium
Durch Verordnung des Reichskanzlers vom 5. Oktober 1919 (RGBl. p. 1784) traten im"Bereich des Militärpensions- und -versorgungswesen" mit Wirkung vom 1. Oktober 1919"an die Stelle der obersten Militärverwaltungsbehörden und der diesen nachgeordneten Dienststellen das Reichsarbeitsministerium und die diesem nachgeordneten Dienststelle". An Stelle der früheren Bezirkskommandos, der Melde- bzw. Hauptmeldeämter, der Militärpensions- und Militärhinterbliebenen Kassen und der Pensionsregelungsbehörden wurden Versorgungsämter bzw. Hauptversorgungsämter gegründet. Hand in Hand damit gingen die Neuschaffung eines Beamtenkörpers, die Neugestaltung des Versorgungsrechts (Reichsversorgungsgesetz vom 12. Mai 1920, RGBl. p. 989) und die Neuregelung des Verfahrens in Versorgungssachen (Gesetz vom 10. Januar 1922, RGBl. p. 59). Hervorzuheben sind vor allem der Gesetzesanspruch auf Heilbehandlung und die Gleichstellung von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften bzw. von deren Angehörigen. Auch der Instanzenweg wurde vereinfacht: bereits mit der Verordnung über die Änderung des Verfahrens zu Militärversorgungssachen vom 1. Febr. 1919 (RGBl p. 149) wurden bei den Oberversicherungsämtern Militärversorgungsgerichte geschaffen und beim Reichsversicherungsamt ein Reichsmilitärversorgungsgericht (für Bayern galt eine Sonderregelung: An Stelle des Reichsmilitärversorgungsgerichts war hier die oberste Instanz ein Landes-Militärversorgungsgericht).
III. Das Reichs (Militär -) VersorgungsgerichtDie zuletzt erwähnte Verordnung vom 1. Februar 1919, die am 1. März 1919 in Kraft trat, regelte u. a. die Einrichtung eines Reichsmilitärversorgungsgerichtes (seit 1921 Reichsversorgungsgericht). Unter Artikel II, § 4 bestimmte sie:
"Das Reichs-Militärversorgungsgericht wird bei dem Reichsversicherungsamt errichtet. Der Präsident des Reichsversicherungsamts ist zugleich der Vorsitzende des Reichs-Militärversorgungsgerichts; er führt als solcher die Amtsbezeichnung Präsident des Reichs-Militärversorgungsgerichts. Als sein ständiger Stellvertreter für Militärversorgungssachen wird vom Staatssekretär des Reichsarbeitsamts ein besonderer Direktor im Reichsversicherungsamte für die Dauer seines Amtes bestellt; er führt die Amtsbezeichnung Direktor des Reichs-Militärversorgungsgerichts"Die Angliederung an das RVA erfolgte, um dessen Erfahrung auf dem Gebiet der Reichsversicherung und die für deren Durchführung bestehenden Verwaltungseinrichtungen für die Militärversorgung nutzbar zu machen.Das RVG war zuständig für die Ansprüche folgender Personenkreise:
a) für die Angehörigen der alten Wehrmacht, unabhängig, ob diese Ansprüche vor dem Weltkrieg oder währenddessen entstanden warenb) für die Angehörigen der neuen Wehrmacht (Wehrmachtversorgungsgesetz vom 4.8.1921, RGBl p. 993)c) für die Zivilbevölkerung nach § 96 des Reichsversorgungsgesetzes (ehem. Beurlaubte, Kriegsgefangene, Internierte) oder nach dem Kriegspersonenschädengesetz (15.7.1922, RGBl I p. 620)d) für die Schutzpolizeibeamten (17.7.1922, RGBl I p. 597) einschließlich der Polizeibeamten beim Reichswasserschutz (26.2.1926, RGBl I p. 149), soweit das Schutzpolizeibeamtengesetz diesbezüglich noch gültig war (Aufhebung 10.7.1926, RGBl I p. 402, jedoch nicht rückwirkend)
Seit dem 1. März 1919 bestehend hat das RVG am 4. November 1919 mit drei Senaten und 6 Beamten seine rechtsprechende Tätigkeit aufgenommen. Die große Aufgabenfülle brachte es einerseits mit sich, daß mit dem"Gesetz über das Verfahren in Versorgungssache" (10.1.1922, RGBl p. 59) das RVG bis auf die gemeinsame Spitze vom RVA abgetrennt wurde, um die volle Einsatzbereitschaft der Beamten gewährleisten zu können, andererseits die Zahl der Senate zunächst sprunghaft stieg: im November 1921 waren es bereits 16 Senate, im September 1923 32! Die Personalabbauverordnung reduzierte die Zahl bis Juli 1924 auf 20, doch im Oktober 1929 gab es immerhin wieder 26 Senate. Mit Beginn der 30er Jahre fiel die Zahl dann deutlich ab: im April 1934 z. B. gab es nur noch 10 Senate.
Der erste Präsident des RVG, zugleich Präsident des RVA, war Dr. Dr. Kaufmann, der am 16. März 1924 von Hugo Schäffer abgelöst wurde. Der eigentliche Leiter des RVG jedoch war von Anbeginn der Geheime Regierungsrat Dr. Wilhelm Rabelung, zunächst als ständiger Stellvertreter des Präsidenten, schließlich als Direktor (12.11.1929) und Vizepräsident (14.6.1923). Er amtierte bis zum 31. Juli 1936; sein Nachfolger als Vizepräsident des RVG wurde der Senatspräsident Dr. Hans Künzel.
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